Über 200 Fachkräfte versammelten sich am 04. Dezember 2019 zur 17. Fachtagung der Tagungsreihe „Betrifft: Häusliche Gewalt“ in der Akademie des Sports Hannover. Die Fachtagung stand in diesem Jahr unter dem Motto „Interdisziplinäre Zusammenarbeit vor Ort - Häusliche Gewalt im Zeichen der Istanbul-Konvention effektiv bekämpfen“. Dazu passend war die multidisziplinäre Besetzung der Teilnehmenden: vertreten waren u.a. Mitarbeiter*innen aus Frauenhäusern, Frauenberatungsstellen, der Jugendhilfe und Jugendämtern, kommunalen Gleichstellungsbüros, Täterberatungsstellen, der Polizei, Justiz, des Gesundheitswesens und der Wissenschaft.
Die Vorsitzende des Landespräventionsrates, Prof. Dr. Ute Ingrid Haas eröffnete die Veranstaltung und betonte angesichts der abermals schockierend hohen Zahlen der BKA-Statistik zum Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt die Notwendigkeit, präventive Maßnahmen zur Verhinderung häuslicher Gewalt weiter zu verstärken. Diesen Punkt nahm der Nds. Kultusminister, Grant Hendrik Tonne, in seinem anschließenden Grußwort auf und betonte dabei die wichtige Rolle von Bildungs- und Einziehungseinrichtungen. Gleichwohl lobte der Minister die gute ressortübergreifende Zusammenarbeit und den ganzheitlichen Ansatz, den das Land Niedersachsen bei der Verhinderung und Bekämpfung häuslicher Gewalt verfolge. Denn um häusliche Gewalt zu überwinden, müssten alle zusammenarbeiten.
Grußworte, Prof. Dr. jur. Ute Ingrid Haas
Link zu Video: https://staerker-als-gewalt.de/#
Rede des Niedersachsischen Kultusministers Grant Hendrik Tonne
Als positives Beispiel für die Präventionsarbeit zum Thema häusliche Gewalt gilt das Konzept „Stadtteile ohne Partnerschaftsgewalt“. In einem lebendigen Vortrag stellte dessen Entwicklerin, Prof. Dr. Sabine Stövesand von der HAW Hamburg das Konzept vor und erläuterte eindrucksvoll, wie durch das Konzept zum einen zivilgesellschaftliches Engagement aktiviert und zum anderen die Entwicklung lokaler sozialer Netzwerke gefördert wird. Das Konzept besteht aus acht konkreten Handlungsschritten, die im Vortrag vorgestellt wurden und an dessen Ende folgendes Ziel steht: Gewalt in Partnerschaften vor Ort zu verhindern und das gesellschaftliche Tabu um das Thema zu brechen. Unterstützt wurde Prof. Dr. Sabine Stövesand von Rahima Habibjana, einer aktiven Nachbarin aus dem Projekt StoP-Osdorf, die Einblicke in die Netzwerkarbeit der dortigen Stadtteilgruppe gab. Frau Habibjana berichtete dabei über ihre eigene Motivation, sich in der Gruppe zu engagieren und davon, wie das Konzept ihr Verständnis für das Thema und ihre Selbstwirksamkeit gestärkt hat.
Link zur Webseite von StoP: https://stop-partnergewalt.org/wordpress/
Nach dem Mittagsessen ging es mit dem interaktiven Format der sogenannten Projektspots weiter. Dafür wurden sechs verschiedene Projektspots aufgebaut – also Stände, an denen aktuelle Projekte aus Niedersachsen und darüber hinaus vorgestellt wurden. Die Teilnehmenden hatten innerhalb der vorgesehen Stunde die Möglichkeit, je nach ihren eigenen Interessen und Bedarfen in bis zum vier verschiedene Projekte „reinzuschnuppern“, also innovative Formate und Methoden kennenzulernen und zum Teil auch selbst auszuprobieren:
Am Nachmittag stelle Myrna Sieden, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Göttinger Sozialforschungsinstitut Zoom – Gesellschaft für prospektive Entwicklung e.V. – in einem Kurzinput einige vorläufige Befragungsergebnisse zum Hilfesystem in Niedersachsen aus zwei Befragungen, die aktuell von Zoom durchgeführt werden, vor. Außerdem stellte sie den Zwischenstand einer Abfrage zu den Vernetzungsstrukturen in Niedersachsen vor, die derzeit durch die Landeskoordinierungsstelle Häusliche Gewalt durchgeführt wird und einer landesweiten Bestandsaufnahme der Runden Tische zum Thema häusliche Gewalt in Niedersachsen dient.
Im Anschluss ging es dann fließend über in eine Panel Diskussion mit einer multidisziplinären Besetzung:
Wolfgang Schäfer (Amtsgericht Lüneburg), Alexandra Kathmann (Staatsanwaltschaft Hannover), Ute Heidelbach (Jugendamt Osnabrück), Bianca Farwick (Ulla Schobert (BISS und Frauenhaus Verden), Frank Hellwig (Polizeidirektion Braunschweig) und Petra Mundt (Gleichstellungsbeauftragte der Region Hannover) gaben Einblicke in ihre Netzwerkarbeit vor Ort und tauschten sich zu der Frage aus: „Interdisziplinäre Zusammenarbeit vor Ort – wozu, mit wem und wie kann sie gelingen?“
Das Podium glich in seiner multidisziplinären Besetzung einem runden Tisch und die Rolle der Koordinierung dessen übernahmen die beiden Moderatorinnen Sandra Kotlenga und Barbara Nägele von Zoom e.V., wie diese einleitenden erwähnten. In der Diskussion wurde auf die verschiedenen Ebenen eingegangen, auf denen Zusammenarbeit stattfindet und die unterschiedlichen Funktionen, die die Vernetzung haben kann. So dient die Kooperation zum einen zur Verbesserung der Qualität von Interventionsmaßnahmen und zur Entwicklung standardisierter Verfahrensabläufe. Gleichzeitig habe diese den positiven Effekt, dass sich über die Jahre mehr Verständnis für die gegenseitige Arbeit der jeweiligen beteiligten Einrichtungen entwickelt und somit Vorurteile der Berufsgruppen unter einander
abgebaut werden konnten. Auch berichteten die Podiumsteilnehmenden, dass sie die Erkenntnisse, die sie an lokalen Runden Tischen gewonnen haben, in ihre jeweiligen Institutionen mitgetragen haben und dort zu einer breiteren Sensibilisierung für das Thema häusliche Gewalt beitragen konnten. Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema ist eine weitere wichtige Funktion, die die Netzwerke vor Ort einnehmen und somit auch einen wichtigen Beitrag zur Prävention leisten. Die Teilnehmenden wiesen schließlich aber auch daraufhin, dass Zusammenarbeit auch immer zusätzliche Arbeit bedeutet, für die in einigen Institutionen kein Raum gegeben ist. Hier müsse sich strukturell etwas ändern, beispielsweise könnte die Netzwerkarbeit in die Arbeitsplatzbeschreibung der beteiligten Berufsgruppe, z.B. von Staatsanwält*innen, aufgenommen werden. Als problematisch wurde oftmals auch die hohe Personalfluktuation und wechselnde inhaltliche Zuständigkeiten eingestuft. Verbindlichkeiten – z.B. in Form einer Geschäftsordnung - können hier hilfreich sein.
Letztlich wiesen die Teilnehmenden darauf hin, dass der effektive Schutz von Betroffenen nur dann gelingen kann, wenn alle Beteiligten gleichberechtigt, respektvoll und gerne zusammenarbeiten. Damit das klappt, erfordere es Entschlossenheit und Mut gemeinsam vor Ort einen Weg einzuschlagen, der zu den lokalen Gegebenheiten passt und bestmöglichsten zur Unterstützung von Betroffenen beiträgt. Ganz im Sinne der neuen BMFSFJ-Kampagne, ist das Fazit der Diskussion also: Gemeinsam können wir stärker sein als Gewalt.